Mraz & Sohn

Die letzte Station unserer kulinarischen Entdeckungsreise war das »Restaurant Mraz & Sohn« wo sich Markus Mraz (Küchenchef in zweiter Generation) gemeinsam mit Sohn Manuel (Restaurantleiter und Käseexperte) und Sommelier Thomas Reither vor einiger Zeit von einer klassichen Speisekarte verabschiedet haben und sich stattdessen auf ein für alle einheitliches Überraschungsmenü konzentrieren.

Eigentlich ist die dahinterstehende Idee sehr gut … »In Zeiten des Überflusses und der andauernden Reizüberflutung, wollen wir in unserem Restaurant das Wesentliche in den Mittelpunkt rücken: Genuss, Abschalten, einfach loslassen. Daher gibt es ab nun keine Speisekarte mehr, sondern lediglich die Wahl zwischen Ja oder Nein. Kein langes Sondieren mehr, keine Ablenkungen von Ihren Tischnachbarn und vor allem eine große Überraschung.«

Die positive Überraschung ist dem Küchenchef nebst Sommelier auch vollauf gelungen: Vierzehn abwechslungsreiche und allesamt wohlschmeckende Gänge nebst einer immer hervorragend damit abgestimmten Weinbegleitung waren ein außergewöhnliches kulinarisches Erlebnis.

Leider war auch hier (wie bereits in Salzburg) eine gewisse ruhelose Gehetztheit zu spüren, die hoffentlich nicht zum neuen Markenzeichen eines unter Regie des Jungkanzlers auf jung-dynamisch gebürsteten Österreichs werden wird. Vielleicht ist das aber auch einfach nur das allgemeine Tempo der Twitter-Generation, für die »abschalten und einfach loslassen« keinesfalls mehr als 280 Zeichen beanspruchen darf. So erschien uns dann auch die sehr prägnante musikalische Untermalung eher als Beitrag zur »andauernden Reizüberflutung« als der dazu versprochene Gegenpol.

Wie auch immer … Wie ihr hoffentlich den nachfolgenden Bemerkungen zu den einzelnen Gängen entnehmen könnt, war auch dieser Abend ein überaus genußreicher Abend und auch hier gilt: Denkt an diese Adresse, wenn euch der Weg nach Wien führt! Kommentare zu dieser Seite, zur notwendigerweise subjektiven Bewertung des Restaurants und auch zum Restaurant selbst könnt ihr gerne im Kontaktformular am Ende der Seite eingeben. Durch einen Klick auf eines der (animierten) Bilder landet ihr in der Bildergalerie, wo ihr diese und noch mehr Bilder in etwas besserer Auflösung sehen könnt. Hervorgehobene Textpassagen führen euch zu externen Inhalten, die oftmals interessant und hilfreich zum Verständnis sein können.

Der Einstieg ins Menü

Zum Aperitif haben wir uns alle für etwas Prickelndes in zwei unterschiedlichen Varianten entschieden: Paul, als erwiesener Freund des Champagners, wählt einen »Premier Cru Champagner« von Bourgeois Boulonais. Jeannette und Martin bevorzugen ein lokales Gewächs: einen »Riesling Sekt Extra Brut« vom Nikolaihof der Familie Saahs in der Wachau aus dem Jahre 2015. Dass dieser Sekt auch der Aperitif war, den Prinz Charles und Herzogin Camilla bei ihrem Österreichbesuch bekommen hatten, wussten wir zum Zeitpunkt unserer Wahl noch nicht.

Während wir den Aperitif genossen, führte uns Manuel Mraz durch die noch unverarbeiteten Zutaten des Tagesmenüs. Leider haben wir es versäumt, diese prächtige Platte mit erlesenen Kochzutaten im Bild festzuhalten. Ebenso gibt es kein Bild von den drei Glückskeksen, in deren Innern sich ein kleines Zettelchen mit dem Menüpreis nebst Preis für die Weinbegleitung fand. Und ja, wir hatten Glück: Der Preis war durch das Reisebudget gedeckt und für das, was uns erwartete angemessen, auch wenn eine der beiden verfügbaren Kreditkarten beim Bezahlvorgang ihren Dienst verweigerte.

Kohlsangria auf Malle

Mit dem ersten und noch flüssigen Gang wurde uns eine Alternative zum »Ballermann« serviert: Eine alkoholfreie Sangria aus Kohl, Gurke, Matcha und Wasabi, serviert im Kohlkopf und mit drei großen Plastikstrohhalmen (ganz legal … noch schreiben wir das Jahr 2019). Ein wunderbar erfrischender Auftakt, der uns, die wir noch nie auf Malle waren, durchaus dorthin bringen könnte, wenn wir nicht genau wüssten, dass die Kübelbrühe die es dort gibt, mit dieser exquisiten Sangria rein gar nichts gemein hat.

Lauchvariation

Ohne Zögern geht es weiter mit Fingerfood: Leckere Puffer aus Lauch und Kartoffelstärke serviert mit einem Dip aus grüner Wasabi-Mayonnaise, gefüllt in das Innere einer halbierten und mit Kabelbindern vor dem Zerfall bewahrten Lauchstange.

Schinkensemmerl

Als Brotgang gab es eine bereits vorbereitete und belegte noch warme Joghurtsemmel, mit Wasabibutter bestrichen und mit leckerem Schinken belegt. Leider erreichte uns der dafür offensichtlich vorgesehene Wein erst mit dem nächsten Gang (zu dem es ihn ohnehin weiter geben sollte) … wahrscheinlich eine Folge des in Österreich beliebter werdenden Speed-Servings (aber davon hatten wir es ja bereits) …

Saibling in Sojatrester

In Vorbereitung auf den Saibling (und als Nachbereitung der Semmel) kredenzte uns der Sommelier einen bemerkenswerten Wein aus der Tonflasche: einen »Muscat Freyheit« vom Weingut Gernot Heinrich aus dem Jahre 2017.

Diese wahrlich tief geerdete Cuvée aus Muskat Ottonel, Weißburgunder und Chardonnay, spontan vergoren, zwei Wochen auf der Maische belassen, nach acht Monaten im gebrauchten Holzfass unfiltriert und ungeschwefelt in die Tonflasche gefüllt, ist die ideale Begleitung für den in Sojatrester gepökelten Saibling, der sich unter einer luftigen Haube aus Buttermilchschaum und Schnittlauchöl findet.

Auster vom Blatt

Erneut versteckt sich ein Wassertier: Zwischen einer Auswahl verschiedenster und marinierter Senfblätter verbirgt sich die Auster, als ob sie die schützende Schale gegen die kühlenden Blätter eingetauscht hätte.

Dazu gibt es eine »Cuvée bílé« aus Grünem Veltliner und Welschriesling (Jahrgang 2017) vom tschechischen Weingut »7 Řádků«: eine elegante Begleitung für die dezent im Hintergrund bleiben wollende Auster.

Kabeljau

Der nächste Wein erreicht uns von der Kanareninsel La Palma und entstammt dem in fünfter Generation von Victoria Torres geleiteten Weingut »Matías i Torres«: Ein immer noch junger und frischer, im Edelstahltank gereifter »Albillo Criollo« aus dem Jahr 2016.

Begleitet wird dieser Wein (oder sollte es andersherum sein?) von einem sanft gedünsteten und leicht geräucherten Kabeljau, der statt im Meer in einem eleganten weißen Schaum aus Beurre blanc schwimmt und geschmacklich durchaus etwas an den traditionellen kanarischen Bacalao erinnert.

Mangold x Rhabarber

In diesem Gang vereinte sich der Geschmack des auf einem Mangobutter-Spiegel ruhenden Mangolds mit dem ihn krönenden getrockneten Rhabarber zu einem nur schwer zu beschreibenden Geschmackserlebnis.

Als passenden Wein dazu gab es einen rubinroten »Baby Bandito Chin up« (Jahrgang 2017) aus Craig Hawkins' südafrikanischem Projekt »Testalonga«. Am Etikett des Weins schieden sich die Geister am Tisch: Passend zum Namen des Weins (»Kopf hoch!«) zeigt es ein Mädchen, das mit trotzigem Blick ihren mit einem Pflaster versehenen Zeigefinger stolz nach oben reckt.

Lamm Umeboshi

Da es für die Familie Mraz zum respektvollen Umgang mit für den Genuss bestimmten Tieren gehört, diese Tiere nur komplett einzukaufen und auch ebenso komplett zu verarbeiten, gab es zum ersten der beiden Hauptgänge ein Stück der über Holzkohle gegarten dry-aged Keule eines vierzehn Tage vor unserem Menü gekauften Lamms. Einen willkommenen Kontrast zum Lamm stellte die Umeboshi dar, die auf dem Lamm angerichtet war, beides versteckt unter einem Shiso-Blatt, das bei der langwierigen Herstellung von Umeboshi (fermentierte »Zwetschge«) eine wichtige Rolle spielt.

Da es in der Familie und im Freundeskreis Liebhaberinnen des Fermentierens gibt, hier ein kurzer Abriss der Herstellung von Umeboshi als Anregung zum Experimentieren … Die noch grünen Ume-Früchte werden mit Salz in Holzbottiche geschichtet und, wie beim Sauerkraut, mit einem Deckel beschwert, damit die Milchsäuregärung einsetzt. Nach ein bis zwei Monaten der Gärung, werden die Früchte eine Woche lang im Freien getrocknet. Danach werden die so getrockneten Früchte gemeinsam mit Shiso-Blättern im während der Gärung entstandenen Umeboshi-Sud eine Woche lang eingeweicht. Blätter und Früchte werden nun aus dem Sud entfernt und in Fässer geschichtet, wo sie vor der Verwendung noch weitere ein bis zwei Jahre reifen dürfen.

Als zu diesem Gericht perfekt passenden Wein gab es nach dem Wein eines nach Südafrika eingewanderten Winzers nun einen Wein eines von Südafrika nach Frankreich ausgewanderten Winzers: Tom Lubbe. Es gab einen »Vin de Pays des Côtes Catalanes Cuvée Romanissa« Jahrgang 2010 der Domaine Matassa in Calce, wo Tom Lubbe nach und nach kleine Weinlagen aufkaufte, für die sich niemand mehr interessierte. Die Cuvée selbst besteht wesentlich aus der uralten Rebsorte »Carignan«.

Kimchireisfleisch

Als zweiten Hauptgang gab es in einer kleinen gusseisernen Pfanne gebratenen Reis und darauf angerichtet fein gewürfelte Lammschulter (vom bereits erwähnten Lamm) mit einem mit mexikanischem Pfeffer angesetzen Kimchi.

Der dazu passende Wein war ein Bio-Wein aus Frankreich, ein »Chateau Lafitte Jurançon Doux«, Jahrgang 2014.

Käse Hybrid

Zum Käsegang war Hybrid-Food angesagt. Dabei war die Auswahl einer Seite der Hybrid-Medaille bereits vorgegeben: Powidl-Sauerteig-Brot, Essig-Haselnüsse, Trüffelhonig, frische Radieschen, weißer Kimchi und Nussröstl. Für den zweiten Teil standen wir vor der Herausforderung eines dreistöckigen Käsewagens und haben alle drei kapituliert und stattdessen die Hilfe des Käseexperten in Anspruch genommen, der uns trotz eher vagen Geschmacksvorgaben zielgerichtet je fünf leckere Käsestückchen ausgesucht hat, die nicht nur unseren verborgenen Wünschen entsprachen, sondern auch noch mit den anderen Bestandteilen des Hybrids perfekt harmonierten.

Rhabarber Kakigōri

Der erfrischende Übergang zum Dessert war ein geschabtes Rhabarbereis (Kakigōri) auf einer mit Pfeffer zubereiteten Sauerrahmcreme, eine überaus elegante und gaumenkitzelnde Kombination.

Almwiese 2050

Das Dessert wurde mit einem nach der »Méthode rurale« vom Garagenwinzer Stefan Vetter 2016 hergestellten Apfelperlwein eingeleitet. Die dazu verwendeten Äpfel stammen allesamt von verschiedenen Apfelsorten aus Streuobstwiesen in Franken: »Nicht mehr aber auch nicht weniger«.

Dazu gab es eine Crème brûlée mit (dem April geschuldet) getrockneten Erdbeeren aus dem Vorjahr. Angerichtet war diese Crème auf einem Bett von Almwiesenheu, dekoriert mit allerlei neuzeitlichen Almhinterlassenschaften: Coca-Cola- und Red-Bull-Dosen, Zigarettenkippen und McDonalds-Tüten. Lasst uns dafür sorgen, dass dies nicht die Zukunft der Almwiesen in 2050 sein wird!

Schokobanane von Mrazali

Dargeboten in einer Schachtel der »Casali Original Schoko-Bananen« aus der österreichischen Süßwarenfabrik Manner gab es nun je eine geeiste Schoko-Banane aus dem Hause Mraz. Wer wollte, konnte sich zum Vergleich auch zusätzlich noch eine Manner-Variante nehmen. Ein Mitesser wagte den Selbstversuch. Das erwartete Ergebnis: Kein Vergleich!

Der Ausklang

Leider musste auch dieses Essen irgendwann einmal ein Ende finden. Zum Kaffee gab es ein Kokos- und ein Schokobällchen sowie, als gelungener Kontrast, angenehm bittere kandierte Orangenschalen. Dazu noch einen schönen holzfaßgelagerten Apfelbrand (zu dem ich meine Notizen gerade aus Versehen gelöscht habe) und einen Clynelish Single Malt (1995) aus den schottischen Highlands.

Der Abschied

Zum Abschied nach diesem insgesamt wirklich sehr gelungenen Abend gab es noch zwei Alu-Sackerl mit einer Kurzform des Menüs, gefüllt mit (leider nur) einem Abbild einer Leberkässemmel nebst Serviette (»100% not recycled«), einem Pappteller mit Restaurantempfehlungen für Wien und einer Schachtel Topinambur-Müsli (»das Müsli, das niemand mag«) mit garantiert »30% weniger Inhalt« aus dem Hause Mraz – Einfallsreich und kreativ, wie wir bereits den ganzen Abend über erleben durften.