Belgien 2020

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Ankunft in Gent

Nach der Ankunft am Bahnhof »St Pieters« heißt es zunächst mal sich zu orientieren, sich mit den COVID-19-Regeln der Stadt vertraut zu machen und den Weg zum Hotel zu finden. Doch bereits kurz danach steht dem ersten Ausflug nichts mehr im Wege und die Abwesenheit der Autos auf den Straßen der Kernstadt lädt zum entspannten Schlendern über Brücken und Pflaster ein.

Des Vaters Loch,

die »Patershol«, ist das erste und zugleich älteste Viertel der Stadt, das wir bei unserem Ausflug am ersten Nachmittag in Gent ansteuern. In den engen mit Kopfstein gepflasterten Gässchen dieser »Stadt in der Stadt« taucht man in eine Ruhe ein, die vergessen lässt, dass man sich in einer europäischen Großstadt befindet. Vor nicht allzulanger Zeit, bot dieses damals etwas heruntergekommene Viertel noch ausreichend und bezahlbares Quartier für die Menschen, die von Gentrifizierung getrieben mittlerweile in die Außenquartiere Gents ausweichen mussten. Heute sieht man bereits wieder die ersten Muskelspiele der Natur, sich die Stein gewordene Künstlerresidenz erneut zurückzuerobern. Unser heutiges Abendessen gibt es im »Restaurant Souvenir« wo wir uns pünktlich um 20:15 einfinden. Details zu Restaurant und Abendessen finden sich hier.

Die Seeseite

Nach ausgiebigem Ausschlafen und einem gemütlichen Frühstück mit Belgischer Waffel haben wir Gent von der Seeseite (nein, nicht erobert, sondern) erkundet und haben damit den Ursprung des Namens »Gent« für den Zusammenfluss von Schelde und Leie deutlich besser verstanden.

Fundsachen

Nicht nur zulande sondern auch zu Wasser ist Gent immer wieder für kleine Entdeckungen gut: Sei es der hoch über den Dächern thronende Probenraum oder auch die düster-morbiden Anspielungen auf dunkelste Wolken oder das Ende mit oder ohne Strick.

Glück im Klaverblad

Zum Abendessen hatten wir ausgesprochenes Glück mit dem vierblättrigen Kleeblatt des Restaurants »'t Klaverblad«. Fröhliche, familiäre Atmosphäre mit singender Kellnerin und ein leckeres Drei-Gänge-Menü bestehend aus gebratenen Scampi in Pernot-Sauce, Pollock mit gebackenem Gemüse bzw. einem Schweinefilet in Gentner Tierenteyn-Senf-Sauce und einer Crème brûlée mit Amaretto.

Gent bei Nacht

Gestärkt mit diesem leckeren Essen konnten wir uns schließlich ins jugendfreie Gentner Nachtleben stürzen und dabei bislang unentdeckte Gassen und Viertel erkunden und andere einsame Jäger der Nacht beobachten. Rechtzeitig um fünf vor Zwölf waren wir dann wieder zurück im Hotel, um uns für den nächsten Tag auszuruhen.

Die Arbeit

Nach einem ausgiebigen Frühstück im »Maison Elza«, untermalt mit vom Kellner mitgesungenen französischen Chansons und Liedern aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, machten wir uns auf den Weg zum ersten Museum an diesem vorhergesagten Regentag.

Der mit noch außerhalb der Tasche geballter Faust fest an der eigenen Seit schreitende Arbeiter wies uns mit dem verblichenen Text der »Internationale« den Weg ins »Industriemuseum«, das neben dem Geruch noch funktionsfähiger Druckmaschinen vor allem die Geschichte der zumeist Kinder- und Frauenarbeit in der Textilindustrie zeigt, die mit fortschreitender Industrialisierung und Computerisierung erneut dem Weg der Baumwolle folgend in deren ursprüngliche Herkunftsländer weitergezogen ist und deren Produkte uns mittlerweile wohlfeil und frei Haus per Amazon geliefert werden.

Der Untergrund

Zweites Museum an diesem Tag ist das »Stadsmuseum« wo uns die aktuelle Ausstellung Untergründiges über Gent vermittelt und dessen Gelände ein beliebter Treffpunkt nicht nur für Menschen sondern auch für Schafe und Ziegen ist.

Ein kleiner Einblick in »zeitgenössische Archäologie« verschafft uns mit einer Sammlung von ausgegrabenen Ring-Pull-Verschlüssen eine Vorahnung dessen, was mögliche späte Nachfahren bei ihren Ausgrabungen zutage fördern werden.

Valentinstag

Zum Abendessen zog es uns wieder nach Patershol und dieses Mal ins Restaurant »Valtentijn«, wo wir als einzige Touristen unter vielen Gentnern ein viergängiges Menü genossen: Nach etwas Rilette mit Oliven starteten wir mit einem exquisiten Rindercarpaccio, gefolgt von einer Grünspargelsuppe mit Pastinaken, Scholle mit Krabben als Hauptgang und einem Trio aus Nougat-Eis mit belgischen Erdbeeren, Panna Cotta und Crème brûlée als krönenden Abschluss.

Kommentar: Gegen Zielsetzungen ist nichts einzuwenden, sofern man sich dadurch nicht von interessanten Umwegen abhalten lässt. Umwege erweitern die Ortskenntnis. Viel Spaß euch!

Dr. Guislain

Nach dem Frühstückskaffee an der Leine machen wir uns trotz aufkeimenden Sonnenscheins auf den Weg ins Kabinett des Dr. (nein, nicht Caligari sondern) Guislain, einem der Wegbereiter der sogenannten »modernen Psychiatrie« Anfang des 18.Jahrhunderts.

Das nach Dr. Guislain benannte Museum in Gent, das in den Räumen der alten psychiatrischen Klinik untergebracht ist, beherbergt zugleich ein Museum zur Geschichte der Psychiatrie und ein Kunstmuseum und erlaubt manchmal beklemmenende Einblicke in die Geschichte einer Konstruktion des »Wahnsinns« als gesellschaftliche und medizinische Kategorie, sowie des damit verbundenen Umgangs mit solcherart stigmatisierten Menschen. Dazu die noch wache Erinnerung an die breite Zustimmung zum großangelegten Vernichtungsprogramm in der nicht so lange zurückliegenden tausendjährigen Geschichte Deutschlands und auch daran, dass der »Wahnsinn die wahre Natur des Menschen offenbart« (Foucault).

Fleischeslust

Als Einstimmung auf unser letztes Abendessen in Gent, machen wir noch einen Abstecher ins alte »Vleeshuis«, das angesichts dessen, dass Gent als »VegetarierInnen-Hauptstadt Europas« gilt, mit seiner unverhüllten Präsentation leckerer ostflämischer Schinken beinahe schon anachronistisch wirkt. Dass zu den gereichten Tapas auch Käse und Pickles aus lokaler Produktion gehören, dürfte hartgesottene VegetarierInnen wahrscheinlich kaum milder stimmen.

So eingestimmt, steht unserem vorläufig letzten Abendessen in Gent nichts mehr im Wege, zu dem sich eine genauere Beschreibung hier findet.

Auf nach Brüssel

Im »Pain Perdu« genießen wir beim Frühstück in einem wunderschönen Hinterhof noch einmal in vollen Zügen die schöne Stadt Gent. Wir verzichten zwar auf die eigentlich dem Namen entsprechenden »Arme Ritter«, gönnen uns aber ein »zacht gekoktes« Frühstücksei.

Danach geht es nach Brüssel und als ausgiebige NutzerInnen schienengebundener Mobilität führt uns der erste Weg vom Bahnhof Bruxelles-Midi nach Schaarbeek ins »Train World«, in dem es gerade eine Sonderausstellung des belgischen Malers Paul Delvaux, dem »Mann der Züge liebte«, gibt. Immerhin wurde in Belgien die erste Bahnstrecke auf dem Kontinent bereits 1834 in Betrieb genommen, ein Jahr vor der Strecke von Nürnberg nach Fürth in Deutschland. Das Bauvorhaben war damals von heftigem Widerstand der VorgängerInnen heutiger AluhutträgerInnen begleitet, die in der dem Bau vorausgehenden Parlamentsdebatte schwerwiegende Bedenken hatten, »dass Milch und Eier auf der Fahrt über die Schienen derart durchgerüttelt werden, dass sie als Buttermilch und Rührei« ankämen.

Abends gönnen wir uns richtig klassische Moules-Frites in einer kleinen Straßenkneipe im Herzen der Stadt, dem »d'Hic«.

Paul Delvaux

Der 1897 geborene Maler war bereits als Kind vom Eisenbahn-Bazillus infiziert, eine Leidenschaft, die ihm bis zu seinem Tod im Alter von 97 Jahre erhalten blieb und die sich in zahlreichen seiner Bilder ausdrückte. Obwohl immer wieder darum gebeten, seine Liebe zur Eisenbahn zu erklären, hat er sich solchen Anfragen beständig verweigert, sondern immer nur darauf verwiesen, dass es ihm einzig und allein darum gehe, diese Passion und Liebe zu leben.

The heat is on …

Bei bis zu 36 °C erlaufen wir die engen Gassen und oft auch weiten Straßen und Plätze Brüssels soweit die Füße uns eben tragen. Darüber vergessen wir mancherorts und manchmal auch die Zeit, die der Uhrmacher in alten Uhren auf dem Flohmarkt offensichtlich sucht und bestimmt auch zu finden glaubt.

René Magritte

»Was ist der Surrealismus? Das ist ein Kuckucksei, das unter Mitwissen von René Magritte ins Nest gelegt wird.« Besser als mit diesen Worten André Bretons lässt sich das eindrucksvolle Wirken des Brüsseler Malers René François Ghislain Magritte wohl kaum zusammenfassen.

Nicht nur der Hitze geschuldet, war das Eintauchen in die Bilder des großen Surrealisten, der sich unter teils heftigen Anfeindungen seiner »unpolitischen« Künstlerkollegen aufgrund des noch frischen Eindrucks faschistischer Besatzung 1945 der Kommunistischen Partei Belgiens anschloss (und danach einige Male wieder aus- und ebenso häufig auch wieder eintrat), im »Musée Magritte« ein Erlebnis, das allen Brüssel-Reisenden nur zu empfehlen ist.

Bruxelles et les Pis

Natürlich dürfen bei einem Stadtrundgang auch die drei Pis nicht fehlen. In der Reihenfolge einer typischen Familienhierarchie sind das: Jeanneke (mit den Konsonanten nehmen es die Mennschen in Brüzzel nicht sonderlich genau), Zinneke und last and least auch noch Manneke.

Mittlerweile etwas müde geworden, lassen wir uns zum Abendessen in einem der normalerweise touristisch überlaufenen Lokale in der Innenstadt nieder, die unter Corona-Bedingungen gähnend leer sind, was der Freundlichkeit und Aufmerksamkeit der Angestellten und der Qualität des Essens wohl eher zuträglich ist. Dazu bot das Restaurant »Chez Léon« auch ein kostenloses Drei-Gänge-Menü für Kinder unter zwölf Jahren an, was aber für uns leider nicht mehr in Frage kam. Auf jeden Fall waren sowohl die Dorade als auch die »Carbonades flamande à la bière« vorzüglich.

Der Abschied

Vor unserer Rückreise gönnen wir uns noch ein schönes Frühstück im idyllischen Hinterhof des »l'Atelier en ville«, wo sich ein quitschfideles belgisches Mäuslein offensichtlich darüber freut, dass wir uns ohne Kater auf den Weg nach Belgien gemacht haben.

Alles in allem ist Belgien (und selbst Brüssel) auf jeden Fall eine Reise wert. Dennoch: der klare Favorit für eine Städtetour ist Gent. Hier zeigt sich deutlich, welche Wohltat eine Befreiung von Blech und Gestank darstellt, auch wenn sich diese (zunächst mal) nur auf die Kernstadt beschränkt. Nicht nur, dass Ruhe und atembare Luft ein Genuss sind, es erweist sich auch, dass das fehlende Tempo motorisierter Fortbewegung direkte Auswirkung auf die in der Stadt lebenden Menschen zeigt und sich allerortens eine angenehme Ruhe und Gelassenheit verbreitet.

Noch ein Nachsatz zu COVID-19: Während in Deutschland noch darüber gestritten wurde und wird, ob der aktuell sichtbare rasante Anstieg der Neuinfektionen lediglich auf lokale Hotspots zurückzuführen ist und wie mögliche negative Auswirkungen auf »die Wirtschaft« auf jeden Fall vermieden werden können, wurde in Belgien dem Rat der Epidemologen folgend noch vor dem erwarteten und vorhergesagten Peak eine allgemeine Maskenpflicht eingeführt, die (nach dem unausweichlichen Peak) letztendlich für einen schnellen und rasanten Rückgang der Neuinfektionen im Land sorgte. Natürlich lag das nicht nur an der Maskenpflicht sondern auch an der allgemein zu beobachtenden Vernunft der Menschen, insbesondere in Gent, wo die Gewöhnung an die Maske so verbreitet war, dass diese selbst im Einer-Kajak auf dem Fluss nicht mehr abgesetzt wurde.